Den neuen Menschen anziehen

Manche machen sich viel aus Mode, andere wenig. Mode-Blogger inspirieren zu neuen Styles und lassen sich ihrerseits von Straße und Laufsteg anregen. Auch beim Thema Innenleben gibt es immer wieder neue Trends. Nie aus der Mode kommen hier wie da sogenannte Klassiker. Ein Blick in die (Kla)Mottenkiste.

Hauptsache individuell!

Jedes Wochenende ein neues Outfit. Nicht gekauft. Selbst genäht, natürlich. Das war für mich als Jugendliche und junge Frau selbstverständlich. Viele Monate lief ich als Teenager nur in schwarzen Kleidern herum. Irgendwann beschloss ich, ab Frühlingsanfang ausschließlich in Weiß unterwegs zu sein. Da es die gewünschten Sandalen lediglich in braun gab, bemalte ich sie mir kurzerhand mit weißer Ölfarbe. Später schneiderte ich mir Kleidung entsprechend internationaler Modemagazine. Immer: Hauptsache individuell! Schließlich heißt es ja „Individuum“.

Kleider machen Leute

Zieht den neuen Menschen an, heißt denn auch passend zum Thema Mode ein Spruch. Der stammt aus der Bibel (Epheser 4,24) und subsummiert sehr nüchtern, was sich von Saison zu Saison so in Sachen Kleidung tut: Man möchte neu sein, frisch. Zeigen, was man mag oder was man sich leisten kann. Denn Kleider machen Leute. Die Aussage passt aber auch zu anderen Sachverhalten, wie zum Beispiel die Job- und Partnersuche. Auch dort möchte man die richtige Position oder Person an (Land) ziehen.

Perfekt kaschieren

Nur meint der Bibelspruch natürlich den „inneren“ Menschen. Angesprochen ist der, der sich nicht traut, so oder anders herumzulaufen, sich für dies oder das zu bewerben, jenes oder solches zu versuchen. Vor allem der Mensch, der sich unwohl fühlt in sich selbst. Zusammengefasst: Genau die Menschen sollen den neuen Menschen anziehen, die ihr versehrtes Innenleben durch Kleidung und andere Statussymbole sowie berufliche Position und Titel perfekt kaschieren bzw. die es nicht schaffen, aus sich das zu machen, was sie möchten – die jedoch Dinge in sich bergen, die über die Jahre immer schwerer tragbar werden.

Nix als Mottenfutter

Dazu kommt: Menschen und Dinge zieht man sich nicht nur durch Äußerlich-, sondern auch durch Innerlichkeiten ins eigene Leben. Diese Innerlichkeiten können zwar ebenfalls verkleidet, zugehängt und hübsch verknotet werden, und auch dafür tauchen schön regelmäßig neue Trends auf. Doch die Hilfsmittel samt verborgener Fehlstellen immer weiter und immer tiefer im Kleiderschrank des eigenen Lebens zu vergraben, führt nur Motten kontinuierlich Futter zu. Ausmisten hilft – kurz. Denn für Nachschub aus neuen Trendwellen ist ja gesorgt. So bleibt alles beim Alten.

Ureigene Essenz, der Klassiker

Es sei denn, man wählt den Klassiker, und zwar den alle kurzfristigen Modeerscheinungen überflüssig machenden Anzug des neuen Menschen. Dieser neue Mensch ist das, was man eigentlich schon war, aber denn doch nicht – weil es einem in einer Tour verloren ging: Das eigene Selbst, die ureigene Essenz. Zum Glück kann man all das, was man durchs belastende Leben in der Waagerechten verloren hat, wieder anziehen. Nach und nach. So, wie es gut und sinnvoll ist.

Stück für Stück zurück

Sinnvoll ist es zum Beispiel dann, wenn man fürchtet, eine bittere Erfahrung könnte sich wiederholen. Oder ein belastender Gedanke hält einen im Bann. Oder ein ersehntes Vorhaben scheint aufgrund von Furcht undurchführbar. In all solchen und anderen Momenten kann man den neuen Menschen an-ziehen, der zu einem gehört, Stück für Stück. Alles Abgespaltene gehört schließlich zu einem selbst. Warum also sollte es irgendwo weiter herumliegen? Manchmal ziehen sich sogar die eigenen Kinder oder fremde Leute diese Essenz an – weil sie herumliegt. Doch den anderen passt das gar nicht. Es zwickt und stört.

Im Bewusstsein des Woanders

Wo ureigene Essenz fehlt, kann man intrasonant ermitteln. Wie die ureigene Essenz wieder dahin zurückkommt, ist ein Einfachso. Du entscheidest, was Du wann anziehst. Klingt komplex, ist aber simpel. Denn die Fäden Deines Seins wurden woanders gewoben. Scheren auf der Erde haben es beschädigt. Du selbst kannst Dich im Bewusstsein des Woanders auf den Weg machen, ganz zu werden. Weil es Dein Geburtsrecht ist, heil und ganz angezogen zu sein.

Authentisch selbst

Auf diesem Weg wirst Du übrigens anfangen, sanfter mit Dir selbst und darum mit anderen umzugehen. Dass die innerlich ebenfalls versehrt sind, ist Dir dann nämlich bewusster. Du wirst vielleicht auch beginnen, Dich anders zu kleiden. Nämlich so, wie Du möchtest, ohne Dir zu überlegen, was andere dazu sagen. Darüber hinaus wirst Du Dich von Äußerlichkeiten anderer wenig bis gar nicht ablenken lassen, was unter anderem gut für entspanntes Dasein und sogar für Diversity ist. Definitiv wirst Du darüber hinaus andere Menschen anziehen. Wie früher auch. Nur dass es ein Unterschied ist, ob Du authentisch Dein genesendes Selbst selbst oder nur klamottig verkleidet bist.

Überhaupt anfangen

Ich war früher klamottig verkleidet. Wie viel ich das heute noch bin – keine Ahnung. Denn es geht überhaupt nicht darum, auf jeden Fall von jetzt auf gleich bzw. möglichst schnell wieder zu 100 % ganz zu sein. Das ist niemand auf der ganzen Welt je gewesen. Wichtig ist auch nicht, wie viel man „schon geschafft“ hat. Wichtig ist, überhaupt anzufangen, mit dem Hinnehmen des Versehrtseins aufzuhören.

Vielleicht erstmal verbinden

Manchmal fühlt sich erstes Anziehen an, als würde man Verbände umlegen. Meiner Meinung nach ist das jedoch allemal besser, als weiterhin mit offenen Wunden herumzulaufen, die aufgrund von 1.000-Euro-Hosen oder angemalten Schuhen weniger weh tun sollen. 🙂